Volkmar Kobelt - Tüfteleien - Das Ziegenproblem

Eingerichtet am 11.07.2004       Zuletzt geändert am 11.07.2004

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Probleme mit dem Ziegenproblem

Suchmaschinen im Web liefern viele Bezüge auf das "Ziegenproblem". Den Ergebnissen oder "Lösungen" der Aufgabe in einigen Darbietungen kann ich kaum zustimmen. Nachfolgend meine Darstellung einer wohl auch schon mehrfach vertretenen Sicht. Aber zunächst eine Aufgaben-Formulierung aus der Wikipedia (wo man auch ausführlichere Einordnung findet):

Bei einer Spielshow im Fernsehen soll ein Kandidat eines von drei aufgebauten Toren auswählen. Hinter einem verbirgt sich der Gewinn, ein Auto, hinter den anderen beiden jeweils eine Ziege, also Nieten.

Der Spieler tut wie ihm befohlen.

Nun lässt der Moderator, der die Belegung der Tore kennt, eines der beiden anderen Tore öffnen. Natürlich befindet sich dahinter eine Ziege. Der Moderator bietet dem Spieler darauf hin an, seine Entscheidung zu überdenken und das andere Tor zu wählen.

Was sollte er tun?

Die fachkundige Antwort pflegt zu sein, daß der Spieler das andere Tor wählen soll, weil die Wahrscheinlichkeit eines Treffers dort 2/3 sei, bei dem zuerst gewählten aber nur 1/3. Der Streit für oder gegen diese Meinung wird oft mit Hilfe komplizierten Rechnens geführt.

Ich (wie mancher andere) glaube, daß die obige Formulierung (wie manche andere) diesen Schluß nicht erlaubt. Vielleicht erklärt sich dieser Unterschied der Auffassungen aus einem unterschiedlichen Begriff von Wahrscheinlichkeit?

Das praktische Interesse an Wahrscheinlichkeiten dürfte sich aus der Erfahrung ergeben haben, unter Mangel an Kenntnis etwas entscheiden zu müssen. Zum Beispiel möge der Entscheider nicht wissen, welcher von zwei Umständen zur Zeit der Auswirkung seiner Entscheidung gegeben sein wird. Wenn er auch sonst nichts weiter über die beiden Umstände weiß, werden sie ihm gleich wahrscheinlich sein, und er muß die Entscheidungs-Möglichkeiten nach jeweiligen Folgen gegeneinander abwägen.

Dieses Beispiel baut anscheinend auf die mangelnde Kenntnis künftiger Umstände. Aber die Unkenntnis gegenwärtiger Umstände hat die gleiche Folge. Wenn etwa ein Spieler auf das Ergebnis eines Münzwurfs wettet, ist er nach dem Wurf (in dieser Hinsicht und wenn er dann noch zu entscheiden hätte) in der gleichen Situation wie vor dem Wurf, falls die geworfene Münze z. B. durch einen Gegenstand verdeckt ist.

Das Verhalten des Spielers wird also von seinem Kenntnisstand abhängen. Und die Bewertung seines Verhaltens sollte auch in einer konstruierten Aufgabe davon abhängen, welcher Kenntnisstand ihm zur Zeit der Entscheidung zu unterstellen ist.

Zum Beispiel wird beim Ziegenproblem in der Regel angenommen oder explizit gesagt, daß der Moderator weiß, hinter welchem Tor sich das Auto befindet. Setzte man das gleiche Wissen beim Spieler voraus, würden sich vermutlich keine größeren Diskussionen darüber ergeben, was er tun sollte. (Wobei bei dieser Detaillierung der Beschreibung der Außenstehende auch nur abstrakt sagen könnte: Der Spieler solle das Tor wählen, hinter dem sich das Auto befindet. Solange er [der Außenstehende] nicht weiß, ob das das zuerst gewählte oder das andere ist.)

Um nun konkreter zu werden: Es gibt Modifizierungen der Aufgabe, die zum gewünschten Ergebnis führen. Zu rechnen braucht man da kaum etwas darüber hinaus, daß man bei insgesamt drei Fällen, die eintreten können, bei Fehlen jeder weiteren Information, jedem Fall die Wahrscheinlichkeit 1/3 zuordnen wird.

Hier nun abstrahierende Formulierungen, die den Kern der Aufgabe herausstellen sollen:

Drei Tore, mit Auto und Ziegen, wie gehabt. Zufallsmechanismen für die Auswahl.Das heißt, für keinen Beteiligten gibt es eine Information über eine im Zusammenhang wichtige Bedeutung dieser Wahl. Wenn etwa der Spieler Stellen mit einem Baum nahebei bevorzugt, sollen Moderator und Einrichter das nicht gewußt haben.

Formulierung, ohne tragende Bedeutung des Moderators: Ein Tor wird zufällig bestimmt. Der Spieler darf dieses aufmachen oder die beiden anderen. Er weiß, daß das unabhängig vom Ergebnis im ersten Schritt so abläuft. In der Situation wird wohl jeder Interessierte im Öffnen der beiden anderen Tore die größere Chance sehen; bei entsprechender Vorbildung die doppelte, bzw. wird er die Wahrscheinlichkeiten 2/3 und 1/3 den beiden Möglichkeiten zuordnen.

Formulierung mit Moderator-Eingriff: Ein Tor wird zufällig bestimmt. Das kann durch den Spieler geschehen; hinsichtlich des Auto-Orts ist seine Wahl zufällig. Der Spieler kann danach wieder endgültig wählen zwischen dem vor-gewählten Tor und den beiden anderen. Der Moderator weiß, wo das Auto ist, und öffnet von den beiden anderen Toren eines mit einer Ziege (eines gibt es mindestens). Das ändert nichts an den Chancen des Spielers, er braucht aber nur noch das zweite Tor von den "anderen" aufzumachen. Der Spieler weiß, daß der Moderator den Ort des Autos kennt (und kennt wie gehabt den festgelegten Ablauf). Ob der Spieler sich vor oder nach dem Öffnen des Ziegen-Tors entscheidet, ist unerheblich. Das ergibt also wieder die 2/3-Chance bei Öffnen des letzten Tors.

Anders verhält es sich bei Formulierungen wie der anfangs angeführten. Schon der Satz "Der Moderator bietet dem Spieler darauf hin an, seine Entscheidung zu überdenken und das andere Tor zu wählen" zeigt eindeutig, daß der Spieler anfangs im Glauben gehalten wurde, seine Wahl bestimme unmittelbar, ob er gewönne. Er wird von dem neuen Angebot überrascht sein und insbesondere nicht wissen, ob der Moderator das in jedem Fall gemacht hätte. Also kann er ziemlch Unbestimmtes über dessen Motiv vermuten, z. B. daß der ihn vom Auto weglocken wolle. Vielleicht hilft dem Spieler ja ein Blick in die Augen des Moderators. Aber ein Außenstehender kann schon gar nicht Wahrscheinlichkeiten quantifizieren; sofern er nicht Genaueres weiß und dann vielleicht meint, daß der Spieler sich nach diesem ihm unbekannten Wissen richten müßte. - Und solche Unwägbarkeiten könnte man sicher auch nicht sinnvoll mit in ein solches Rätsel aufnehmen.

Also hat man jedenfalls nicht die Alternative 2/3 oder 1/2 für die Chance bei Wahl des anderen Tors, wie anscheinend manchmal suggeriert wird. Außer in dem Sinn, daß 2/3 vielleicht die richtige Antwort ist, wenn man die Aufgabe in der sinnvollsten Weise korrigiert. Aber 1/2 ist vielleicht nicht völlig unsinnig als erste Näherung bei der gegebenen Formulierung, die eben überhaupt keinen Anhaltspunkt gibt.

Um zu zeigen, wie eine Antwort von den Einzelheiten der (korrigierten) Aufgabe abhängt, sei noch die Version erwähnt, in der der Moderator selbst nicht weiß, wo das Auto ist, oder das zu öffnende Tor zufällig (unter den restlichen zwei) wählt: Wenn dann zufällig eine Ziege erscheint, ist für den Spieler die Chance bei beiden Toren (zunächst gewähltes und drittes) gleich, je 1/2. Wenn man die Spielregel hier so ergänzt, daß bei (zufälliger) Öffnung des Tores mit dem Auto durch den Moderator der Spieler das auch bekommt, ist seine Gewinnchance für den Gesamt-Ablauf wieder 2/3. -

Die Auffassung, daß man zu einer "Aufgabe" wie der oben zitierten eindeutig eine quantitativ gefaßte Antwort geben könne, rührt vielleicht her von der Vorstellung, Wahrscheinlichkeiten seien durch Umstände objektiv gegeben, vielleicht gar im Verborgenen existierend, solange man sie nicht eruiert; was weiter oben ansatzweise widerlegt wurde. Diese Vorstellung wird wohl gefördert durch die Objektivität oder die Exaktheit der Wahrscheinlichkeitsrechnung (oder Stochastik). Diese innermathematische Exaktheit wird dann anscheinend manchmal auch einfach als gegeben angesehen bei der dann vielleicht etwas kritiklosen Interpretation lebenswirklicherer Umstände mit Hilfe der mathematischen Termini. Ich meine, auch wenn man wahrscheinlichkeitsrechnen kann: Das Problem liegt hier nicht im Rechnen. Und auch die manchmal vorgeschlagenen Experimente zu relativen Häufigkeiten helfen nicht über die Unverträglichkeit der jeweiligen stillen Voraussetzungen mit der Aufgaben-Formulierung hinweg. (Allerdings sollen manche Leute auch mit der vollständiger formulierten Aufgabe Schwierigkeiten haben.)

Einige Web-Seiten mit Ergänzungen zu meiner Sicht:

Mit Kritik und Betrachtung verschiedener Aufgaben-Variationen: Herb Weiner
Voriges zitiert und weitere Aspekte und Variationen: R. Grothmann
Knappe vollständige Formulierung, die zum gewünschten Ergebnis führt: Andreas Wichmann


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